HAZ: Sie waren 1999 in Bologna dabei. Welche Ziele haben Sie gemeinsam mit den anderen europäischen Ministern bei der Reform im Sinn gehabt?

Edelgard Bulmahn: Es ging uns darum, Europas Einheit außer auf politischer und wirtschaftlicher Ebene auch kulturell, sozial und wissenschaftlich herzustellen. Wir wollten durch die Schaffung eines einheitlichen Hochschulraums Europa als Kontinent des Wissens stärken, dafür sorgen, dass mehr Menschen Zugang zu guter Ausbildung und höherer Bildung bekommen. Erhöht werden sollte auch die Durchlässigkeit – eben durch jene Bildungsmodule, die einen Wiedereinstieg ins Studium auch nach Phasen der Berufstätigkeit erlauben.

HAZ: Das klingt gut – aber es wurde offenbar in Deutschland und anderswo schlecht umgesetzt.

Edelgard Bulmahn: Die Reform ist in der Tat an vielen Hochschulen nicht wie gewünscht realisiert worden. Ausdrückliches Ziel war es, die Betreuungsquote und damit die Lehre zu verbessern. Doch statt zu einer angemessenen Arbeitsbelastung ist es zu einer Überfrachtung der Studiengänge gekommen. Statt eines Bachelors, der wissenschaftliche Methoden und Grundlagen legt, gibt es vielerorts nur ein Paukstudium, das zu wenig Zeit zu eigenständiger wissenschaftlicher Arbeit, für Praktika und auch zum für die meisten Studierende leider nötigen Jobben lässt.

HAZ: Schließen sich Grundstudium und Berufsorientierung, wie sie der Bachelor vermitteln soll, nicht aus?

Edelgard Bulmahn: Ich halte Beides für vereinbar: Berufsorientierung heißt ja nicht berufliche Ausbildung. Warum sollte man nicht ein Grundstudium Informatik beginnen, um sich dann durch ein Masterstudium Bioinformatik ein Spezialgebiet zu erschließen. Statt 20 Prozent sollen künftig 40 Prozent eines Jahrgangs zum Hochschulabschluss geführt werden.

HAZ: Entspricht die Ausstattung der Hochschulen diesem Ziel?

Edelgard Bulmahn: Absolut nicht. Das Hochschulsystem ist seit vielen Jahrzehnten unterfinanziert. Und gerade ein Erfolg der Bologna-Reformen setzt mehr Investitionen in Bildung voraus, rund 25 Mrd. Euro pro Jahr.

HAZ: Haben die Hochschulen etwa aus Finanznot den Bachelor zum Flaschenhals vorm zugangsbeschränkten Master gemacht? Liegt der Fehler nicht auch in den Vorgaben aus Bologna?

Edelgard Bulmahn: Keineswegs. In den skandinavischen Ländern funktioniert die Bologna-Reform reibungslos. Wir wollten eine bessere Finanzierung der Hochschulen. Deshalb hatte ich 2002 zur Unterstützung des Bolognaprozesses einen „Pakt für Hochschulen“ angeboten. Dieser scheiterte nach zwei-jährigen Verhandlungen an den Ländern wegen angeblicher Nichtzuständigkeit des Bundes für Lehre. In Bologna wurden die Weichen für eine Bildungsexpansion gestellt – nicht für Bildungsexklusion zum Zwecke der Kostenersparnis.

HAZ: Die Wissenschaftsminister zeigen ja jetzt Bereitschaft zum Nachbessern. Ein beruhigendes Signal?

Edelgard Bulmahn: Den Worten müssen jetzt erst Taten folgen. Nötig ist die Reform der Reform: Die Betreuungsrelation muss verbessert, die Studiengänge müssen entschlackt werden, die willkürlichen, in Bologna gar nicht vorgesehenen Semesterbeschränkungen müssen fallen. Vor allem aber muss die finanzielle Ausstattung der Hochschulen verbessert werden. Deshalb ist es ein katastrophaler Fehler, dass die neue Bundesregierung jetzt die Losung ausgibt: Steuern runter – und alles wird gut.

Interview: Daniel Alexander Schacht